Wenn Periodenschmerzen den Alltag bestimmen – und die Medizin sie nicht ernst nimmt
Stell dir vor, dich überkommt einmal im Monat wie aus dem Nichts ein vernichtender Schmerz im Unterleib. Das Einzige, was du dann noch tun kannst, ist, dich auf ein Sofa zu legen, dich mit einer Wärmflasche einzukuscheln und zu hoffen, dass es bald vorbeigeht. Stell dir weiter vor, wie du von einer Fachperson zur nächsten gehst und immer wieder zu hören bekommst: „Das ist normal, so ist das eben mit der Menstruation. Schmerzen gehören einfach dazu.“ Anfangs gibst du dich mit dieser Antwort zufrieden. Doch nach Monaten und Jahren voller Schmerzen wird die Stimme in dir immer lauter, die fragt: Ist das wirklich normal oder gibt es doch etwas, was ich gegen diese Schmerzen tun könnte?
Die Normalität in Frage stellen – Verdacht Endometriose
Die Antwort lautet: Nein, das ist nicht normal. Du könntest unter Endometriose leiden - einer Erkrankung, die etwa 10 % aller Frauen betrifft (Zeppernick et al., 2024), sowie Personen, die sich nicht mit dem weiblichen Geschlecht identifizieren jedoch biologisch weibliche Geschlechtsmerkmale aufweisen (Horne & Missmer, 2022). Doch was verbirgt sich hinter dieser Krankheit?
Hilfe, meine Gebärmutterschleimhaut wuchert
Endometriose bezeichnet das Wachstum von gebärmutterschleimhautähnlichem Gewebe ausserhalb der Gebärmutter, häufig im Beckenbereich an Eierstöcken, Blase oder Darm (Schäfer & Kiesel, 2020; Zeppernick et al., 2024). Dieses Gewebe reagiert, ähnlich wie die Gebärmutterschleimhaut, auf hormonelle Veränderungen, blutet während des Menstruationszyklus und führt mangels Abfluss des Blutes zu Entzündungen, Narben und Verwachsungen, die starke Schmerzen verursachen können (Abd El-Kader et al., 2019; Kaveh et al., 2018). Das Immunsystem reagiert ebenfalls, was Endometriose zu einer chronisch entzündlichen Erkrankung macht (Saunders & Horne, 2021; Vercellini et al., 2008).
«Chamäleon» der Gynäkologie
Aufgrund der vielfältigen Symptome, wie zyklusabhängige und zyklusunabhängige vernichtende Schmerzen im Unterleib, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, chronische Erschöpfung (Fatigue) sowie Unfruchtbarkeit, gilt Endometriose als Chamäleon der Gynäkologie (Kiesel et al., 2023; Mehedintu et al., 2014; Tsamantioti & Mahdy, 2024). Diese Beschwerden beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, bleiben jedoch oft jahrelang unerkannt oder werden nur zufällig diagnostiziert (Hudson, 2021; Mehedintu et al., 2014).
Wenn die Diagnose Endometriose auf sich warten lässt
Krankheitsübergreifend konnte gezeigt werden, dass Frauen und ihre Gesundheitsbeschwerden in der Medizin häufig nicht ausreichend ernst genommen (Hoffmann & Tarzian, 2001) und ihre Beschwerden oft als stressbedingt oder psychosomatisch eingestuft werden (Hamberg, 2008). Dieses Phänomen, welches als Gender Bias bekannt ist, zeigt sich vor allem bei einer Erkrankung wie Endometriose, welche ausschliesslich Frauen betrifft. Viele Betroffene berichten, dass Fachpersonen ihre Beschwerden über lange Zeit als „normale“ Menstruationsschmerzen abgetan haben, wodurch erst spät oder gar keine passende medizinische Hilfe in Anspruch genommen wurde (As-Sanie et al., 2019). Deshalb vergehen im Schnitt 10,4 Jahre vom ersten Symptom bis zur Diagnose (Agarwal et al., 2019), was das Risiko für eine Verschlimmerung und Chronifizierung der Endometriose erhöht (Parasar et al., 2017). Daher sind eine frühzeitige Erkennung und Diagnostik entscheidend.
Diagnose via App?
Der Einsatz von Gesundheits-Apps rückt zunehmend in den Fokus der Forschung, da sie das Tracking von Zyklus, Schmerzen, Stimmung und Schlaf ermöglichen und so helfen können, Endometriose-Muster zu erkennen und Behandlungsstrategien zu personalisieren (Edgley et al., 2023). Das Forscherteam von Nezhat (2023) untersuchten die „Endometriosis Risk Advisor (EndoRA)“-App als Screening-Tool für Endometriose bei Patientinnen mit chronischen Beckenschmerzen und/oder unerklärter Unfruchtbarkeit. Dabei beantworteten die Betroffenen Fragen zu ihren Schmerzen und Fruchtbarkeit. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Die App erkannte 93,1% der Endometriosefälle. Allerdings war die Spezifität mit 5,9% gering, was bedeutet, dass viele gesunde Personen fälschlicherweise als Risikopatientinnen eingestuft wurden. Deshalb ist weitere Forschung in diesem Bereich dringend erforderlich und erfreulich, dass das „MeMäF-Projekt“ der Charité Berlin im März 2024 startete. Auch hier sollen Frauen mit starken Menstruationsschmerzen die App „period.“ testen (Period. App, 2024). Diese trackt Zyklus, Schmerzen und Begleitsymptome, liefert Informationen zu Beschwerden und Behandlungsmöglichkeiten und bietet Self-Care-Tipps wie Yoga-Übungen. Nach drei Monaten werden Nutzerinnen mit hohem Risiko identifiziert und erhalten spezialisierte Versorgung im Endometriose-Zentrum der Charité. Da sich die Studie noch in der Datenerhebungsphase befindet ist derzeit unklar, wie gut die App die Früherkennung von Endometriose unterstützen kann.
Apps als digitale Unterstützung im Alltag
Nach der Hilfe zur Diagnose von Endometriose kommt die Frage, ob Apps auch als Ergänzung zur klassischen Therapie eingesetzt werden können. Die Endo-App sagt ja (Endo, 2024)! Diese in Deutschland von Krankenkassen anerkannte App, welche Symptomtracking, Lernmodule, interaktive Übungen, einen SOS-Plan und vieles mehr umfasst, konnte in einer dreimonatigen Studie zeigen, dass Frauen mit Endometriose, welche die App nutzten, weniger Einschränkungen durch Schmerzen erlebten (Rohloff et al., 2024) als Betroffenen, die lediglich ihre übliche Therapie erhielten. Zudem zeigten die Nutzerinnen der App eine bessere Schmerzbewältigung, weniger Erschöpfung und depressive Symptome sowie eine Verbesserung der Lebensqualität (Rohloff et al., 2024). Eine in der Schweiz äquivalente App, NALU, wird aktuell in Zusammenarbeit mit dem Inselspital Bern entwickelt (NALU, n.d.).
Somit kann abschliessend gesagt werden, dass es erste Hinweise gibt, dass Apps eine Möglichkeit darstellen, Endometriose schneller zu diagnostizieren (unteranderem da ihre Auswertungen auf Fakten beruhen und nicht dem Gender Bias unterliegen). Zudem können sie als Ergänzung zur klassischen Therapie eingesetzt werden, um Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.
Was wäre also, wenn wir Periodenschmerzen ernst nehmen würden?
Weniger Schmerzen. Schnellere Diagnosen. Eine bessere Lebensqualität für Millionen Frauen weltweit. All das ist möglich – aber nur, wenn wir Endometriose endlich die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdient.
Das kannst du tun:
- Nimm deine Gesundheit in die Hand: Dokumentiere Symptome wie Schmerzen oder Zyklusauffälligkeiten und sprich mit einer Fachperson
- Informiere dich: Nutze Plattformen wie endo-help.ch für hilfreiche Informationen (Endo-Help, 2024)
- Teile dein Wissen: Auf Endometriose aufmerksam zu machen kann zu einer schnelleren Diagnose führen
- mHealth als Hilfsmittel nutzen: Apps können Diagnosen und Therapien unterstützen, ersetzen aber nicht einen Arztbesuch
- Forschung unterstützen: Falls du an starken Periodenschmerzen leidest, nehme an Forschungsprojekten wie dem NALU oder dem MeMäF teil
Endometriose ist eine Herausforderung, die wir bewältigen können – wenn wir die Symptome endlich ernstnehmen. Also, worauf warten wir noch?
Literaturverzeichnis
Abd El-Kader, A. I., Gonied, A. S., Lotfy Mohamed, M., & Mohamed, S. L. (2019). Impact of Endometriosis-Related Adhesions on Quality of Life among Infertile Women. International Journal of Fertility and Sterility, 13(1), 72–76. https://doi.org/10.22074/ijfs.2019.5572
Agarwal, S. K., Chapron, C., Giudice, L. C., Laufer, M. R., Leyland, N., Missmer, S. A., Singh, S. S., & Taylor, H. S. (2019). Clinical diagnosis of endometriosis: A call to action. American Journal of Obstetrics & Gynecology, 220(4), 354.e1-354.e12. https://doi.org/10.1016/j.ajog.2018.12.039
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